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Militärischer Wettlauf im All oder friedlicher Kosmos? – Politikmagazin warnt vor Folgen

von Tilo Gräser

Der Weltraum – das sind nicht nur unendliche Weiten, wie der Vorspann der 1966 erstmals ausgestrahlten US-amerikanischen Science-Fiction-Serie "Star Trek" verkündete. Er ist auch "Sache der gesamten Menschheit", nachzulesen in Artikel 1 des "Weltraumvertrages" von 1967. Dieser "hoheitsfreie Gemeinschaftsraum" solle allen Staaten gemeinsam gehören. Doch drohen ihm ein neues Wettrüsten ebenso wie ein wirtschaftlicher Wettlauf um die Ressourcen, etwa auf dem Erdmond und Asteroiden.

Darauf macht die aktuelle August-Ausgabe des Potsdamer Politikmagazins WeltTrends mit ihrem Titelthema "Weltraum – Konfrontation & Kooperation" aufmerksam. "Die zunehmende Bewaffnung des Weltraums ist angesichts der Verwundbarkeit von Satelliten ein ernstes Problem", schreibt der Friedensforscher Götz Neuneck in seinem Beitrag.

"Der erdnahe Raum gewinnt friedens- und sicherheitspolitisch zuneh­mend an Bedeutung", so Neuneck. Im neuen Zeitalter "New Space" bestimmen laut ihm mehrere Trends die künftige Sicherheit im Weltraum:

"Neben den klassischen Weltraumakteuren, den dominan­ten USA, Russland und dem ambitionierten China sowie Europa, Japan und Indien, treten kommerzielle Unternehmen auf, die einen einfache­ren Zugang zum Weltraum, neue Dienste im Kommunikations- und Satellitenbereich oder die Ausbeutung von Rohstoffen auf anderen Him­melskörpern propagieren."

Auch kleinere Länder seien verstärkt tätig, da der Zugang zum Weltraum leichter geworden sei: "Mit Raumfahrt sind internationales Prestige, technologische Selbständigkeit und Führerschaft sowie die Fähigkeit zur Machtprojektion ('Power through space') verbun­den." Zugleich verschärft sich laut Neuneck der "Wettbewerb im und um den Weltraum" angesichts der altbekannten wie neuerlich aufsteigenden Rivalitäten zwischen den USA, Russland und China.

Kooperation und Konfrontation

Der Friedensforscher beschreibt die Entwicklung bis heute, seitdem am 4. Oktober 1957 mit dem sowjetischen "Sputnik" der erste künstliche Erdsatellit ins All befördert wurde. In einem weiteren Beitrag im aktuellen WeltTrends-Heft erinnert der Abrüstungsexperte Lutz Kleinwächter daran, dass die Entwicklung der Raumfahrt von Anbeginn mit militärischen Interessen verbunden war. Und:

"Der bis heute anhaltende Rüs­tungswettlauf im Bereich der Weltraumraketen und der Kernwaffen hatte seine Initialzündung im faschistischen Deutschland."

Der jahrzehntelang verfolgte internationalistische Ansatz der friedlichen Zusammenarbeit – von gemeinsamen Satelliten-Projekten über das Sojus-Apollo-Projekt 1975 bis hin zur heutigen internationalen Raumstation ISS – droht zu verebben, befürchtet Friedensforscher Neuneck. "Mehr nati­onale Sicherheit im All und der Schutz kritischer Infrastrukturen sind das Gebot der Stunde." Er warnt:

"Das Aufstellen einer Space Force in den USA und Russland (seit 2015), eine verstärkte russisch-chinesische Zusammenar­beit und das Testen von Counterspace-Aktivitäten der drei führenden Weltraummächte sind Beleg für die Vorbereitung einer Bewaffnung des Weltraums, die im Kriegsfalle zum Einsatz kommen oder gar einen Krieg auslösen kann."

Es handelt sich um ein "Erbe des kalten Krieges", so der Friedensforscher: "Im Kalten Krieg war die militärische Nutzung des Weltraums eine entscheidende Triebkraft für die Weltraumprogramme der Supermächte." Rüstungskontrolle, Aufklärung und Frühwarnsysteme hätten eine deeskalierende Wirkung gehabt. Damit sei das Risiko von Fehlwahrnehmungen und von ungewollter Eskalation in einer Krise gesenkt worden. Doch der Friedensforscher warnt: "Dieses Erbe steht heute auf dem Spiel."

Counterspace-Technologien wie ASAT, Laser oder elektronische Kriegführung (Elect­ronic Warfare) sowie andere Weltraumwaffen würden seit Jahren wieder intensiv entwickelt. "Die zunehmende Bedeutung des Weltraums für militärische Zwecke unterstreichen auch einschlägige Dokumente und Programme der führen­den Weltraummächte", so der Friedensforscher.

Er weist auf entsprechende US-amerikanische, russische und chinesische Pläne und Programme hin. Zudem habe die NATO ihrem letzten Gipfel-Kommuniqué vom Juni 2021 dem Weltraum (unter Ziffer 33) einen eigenen Abschnitt gewidmet. Danach solle künftig ein möglicher Angriff aus dem Weltraum als "Bündnisfall" gewertet werden.

Bundeswehr im All

Auch die Bundeswehr ist inzwischen am Aufrüsten im All beteiligt. Das All ist für sie "eine Dimension, die rasant weiter an Bedeutung gewinnt, wie Generalleutnant Kai Rohrschneider aus dem Bundesverteidigungsministerium zu Jahresbeginn gegenüber der Zeitschrift Europäische Sicherheit & Technik erklärte. Seit 2009 betreibt sie gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) das Weltraumlagezentrum (WRLageZ) in Uedem am Niederrhein. Dort wird auch das "Air and Space Operations Center" (ASOC) aufgebaut.

Seit 2019 beteiligt sich die Bundesrepublik zudem an der "Combined Space Operations"-Initiative, neben den USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland und Frankreich. Das wird auch damit begründet, dass eine Armee heutzutage nicht mehr ohne weltraumgestützte Kommunikationstechnik auskommt. Und: Es geht wie immer angeblich nur um Schutz und Verteidigung, denn das irdische Leben ist inzwischen "existenziell vom Weltraum abhängig", so General Rohrschneider.

Friedensforscher Neuneck bedauert im WeltTrends-Heft, dass es zwischen den Weltraummächten im militärischen Bereich "keinerlei Transparenz" gebe: "Gegenseitige Verdächtigungen und Vorwürfe domi­nieren die Stellungnahmen und Doktrinen." Zumindest hätten bei den jüngsten Gesprächen zwischen Russland und den USA die Fragen der Rüstungskontrolle auch im Weltraum und bei der Raketenabwehr eine Rolle gespielt. Das sei auch bei dem Gipfeltreffen der Präsidenten Wladimir Putin und Joseph Biden im Juni dieses Jahres der Fall gewesen.

Weiter gültige Erkenntnis

Die beiden Präsidenten hätten in ihrem Statement die Gorbatschow-Reagan-Formulierung unterstrichen, dass "ein Nuklearkrieg nicht gewonnen und niemals ausgetragen werden darf". Ähnliches gilt laut Neuneck für einen Krieg im Weltraum, der die Sicherheit im Weltraum untergraben und obendrein viele neue Weltraumtrümmer im Erdorbit erzeugen würde:

"Die im Weltraum führenden Nationen, allen voran die USA, Russland und China, könnten durch verbindliche risikoreduzierende Maßnahmen voranschreiten und damit die Sicherheit für alle Objekte im Weltraum stärken."

"Vernunftwidrig erreichte die fortgesetzte nukleare Hochrüstung in den 1980er Jahren ihren Höhepunkt", erinnert Abrüstungsexperte Kleinwächter in seinem WeltTrends-Beitrag an die geschichtliche Entwicklung im Kalten Krieg. Das sei geschehen, obwohl US-Ver­teidigungsminister McNamara bereits 1967 "im Kräfteverhältnis USA-UdSSR den ernüchternden Zustand einer abschreckenden, selbst­mörderischen Pattsituation – die Mutual Assured Destruction (MAD), feststellte".

In der Folge sei aber "von den Staatschefs Nixon und Breschnew ein bis heute andauernder Verhandlungsprozess zur Begrenzung und Reduzierung der strategischen Raketenkernwaffen (SALT/START) in Gang gesetzt" worden. Nüchterner Realismus habe sich durchgesetzt, der laut Kleinwächter zu den Gipfelerklärungen von US-Präsident Ronald Reagan und KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow vom Januar und November 1985 führte.

Ziel der Verhandlungen seien Über­einkünfte gewesen, "die auf die Ver­hinderung des Wettrüstens im Weltraum und seine Beendigung auf der Erde" gerichtet sind. Er zitiert:

"Nach Erörterung der Schlüsselfragen der Sicherheit erklärten die Seiten im Bewusstsein der besonderen Verantwor­tung der UdSSR und der USA für die Erhaltung des Friedens, dass ein Kernwaffenkrieg nicht entfesselt werden darf und dass es in ihm keine Sieger geben kann. (…) Sie werden nicht nach Erlangung militärischer Überlegenheit streben."

Beide Staaten vereinbarten damals, "ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern und es auf der Erde zu beenden, die nuklearen Rüstun­gen zu begrenzen und zu reduzieren und die strategische Stabilität zu festigen."

Ignorierte Konsequenzen

Das sei am Ausgang des Kalten Krieges eine neue Qualität in den Abrüstungsverhandlungen gewesen, erinnert Kleinwächter und stellt fest:

"Die tiefgreifenden Konsequenzen werden aber bislang in Teilen der Führungseliten und der Militär- und Abrüstungswissenschaft nicht ausreichend verstanden bzw. bewusst negiert."

Die seit Beginn der 2000er Jahre wieder zugespitzten Konflikte in den strategischen Beziehungen zwischen den USA und Russland bezeichnet er als "destruktives Déjà-vu". Für den Abrüstungsexperten hat die "multilaterale Diplomatie zur Einschränkung der militärischen Nutzung des Weltraums" heute wieder akute Bedeutung. Im Artikel IV des UNO-Weltraumvertrages von 1967 verpflichteten sich die Teilnehmerstaaten, "keine Objekte mit Kernwaffen oder anderen Arten von Massenvernichtungswaffen auf eine Umlaufbahn zu bringen, keine derartigen Waffen auf Himmelskörpern oder auf andere Weise im Weltraum zu stationieren".

Doch alle Versuche in der Folgezeit, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern, sind laut Kleinwächter im Ansatz steckengeblieben. "Eine Gefahr ist die unkontrollierte Weiterver­breitung von Weltraumtechnologie/-waffen ähnlich wie bei Kernwaffen."

Kleinwächter mahnt Kooperation statt Konfrontation an, und ebenso, die bipolare neue West-Ost-Konfrontation angesichts der "Realitäten einer multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts" aufzugeben. Zwar sei ein Großkrieg zwischen nuklearen Weltraummächten "hochgradig unwahrscheinlich", doch die Militarisierung des Weltraums erhöhe die Konflikt- und Kriegsrisiken. Dagegen müsse ein stabilisierender Dialog entwickelt und ausgebaut werden.

Ebenso geht es für den Experten um "Multipolarität statt Systemkampf". "Keine der Großmächte und Koalitionen kann auf der Erde oder im Weltraum die anderen überwinden oder besiegen." Zu einer notwendigen "militärisch gewaltfreien, zivilen strategischen Streitkultur" gehören "Kooperation und Wettbewerb, selbst harte Konkurrenz statt 'Systemgegnerschaft' und 'Entkopplung'."

Lockruf des Weltalls

Doch auch die zunehmende wirtschaftliche, konkurrenzgetriebene Eroberung des Weltraums birgt zahlreichen Konfliktstoff, wie der renommierte Astronom Dieter B. Herrmann zeigt. Er erinnert in dem aktuellsten Heft aus Potsdam an die Ergebnisse der friedlichen Erforschung und Nutzung des Kosmos "seit Sputnik 1" im Jahre 1957. Mit Blick auf die Gegenwart schreibt er: "Besonders Mond, Mars und die Asteroiden rücken neuerdings wieder in den Fokus der Raumfahrt."

So sollen mit dem US-Mondlandeprogramm "Artemis" ab dem Jahr 2024 wieder Menschen auf den Erdtrabanten gebracht werden. Russland habe die USA wegen der zu starken politischen Ausrich­tung des Mondlandeprogramms kritisiert, so Herrmann, und stattdessen eine internationale Kooperation ähnlich zur ISS vorgeschlagen. "Russland hat mit seiner Kritik nicht unrecht", stellt der Astronom fest:

"Der deutsche Weltraumrechtler Stephan Hobe befürchtet, dass durch die­sen Akt der USA ein Gewohnheitsrecht geschaffen werde, mit dem das bestehende Weltraumrecht aufgeweicht würde. Rechtliche Grundlagen bedürften einer internationalen Diskussion und Abstimmung und nicht eines Diktats der USA."

Bei den gegenwärtigen, zunehmend privatwirtschaftlich finanzierten Weltraumaktivitäten geht es weniger um den spektakulären Weltraumtourismus als um künftigen Weltraum-Bergbau. Auf dem Mond und den Asteroiden seien wertvolle Minerale und Metalle sowie das seltene Isotop Helium-3 gefunden worden. Das hat laut Herrmann bereits zahlreiche private Investoren auf den Plan gerufen.

"Dass man auf diesem Gebiet in naher Zukunft profitable Geschäfte erwartet, zeigt der Einstieg der Computer- und Internetgiganten Microsoft, Google und Amazon in diese Branchen. Sie sind wichtige Konsumenten von Platinmetallen und daher besonders daran interessiert, die Lieferketten zu stabilisieren."

Dabei werden dem Astronomen zufolge bisherige internationale Regeln missachtet, darunter auch, dass der Weltraum allen gehören solle. "So haben die USA 2015 in einem dreisten Akt ein Gesetz zur Förderung des privaten Unternehmertums der Luft- und Raumfahrt unterzeichnet, das es jeder US-amerikanischen Firma erlaubt, die Rohstoffe (einschließlich Wasser) von Objekten des Weltraums in Besitz zu nehmen."

Drohende Anarchie

Selbst das kleine Luxemburg habe 2017 ein nationales Gesetz über die Erforschung und Nutzung von Weltraumressourcen verabschiedet. "Es sichert allen Firmen Ansprüche auf im Weltraum gewonnene Ressourcen zu, sofern sie sich in Luxemburg ansiedeln. Inzwischen sind mehr als 100 fachspezifische Gesellschaften und Forschungseinrichtungen dort aktiv."

Herrmann macht auf die deutliche Kritik an solchen Plänen und Projekten aufmerksam: "Weltraumrechts-Experten haben das Vorgehen der USA und Luxemburgs als völkerrechtswidrig bezeichnet." Nach dem Weltraumvertrag – von 105 Staaten ratifiziert – hätten alle Staaten, unabhängig von ihrem Entwicklungsstand, die Freiheit der Erforschung und Nutzung des Weltraumes, der als ein hoheitsfreies Gebiet anzusehen sei und deshalb auch keinerlei nationale Aneignung zulasse.

"Wenn es künftig darum geht, in großem Umfang wertvolle Rohstoffe abzubauen und anschließend zu vermarkten, sind neue verbindliche Regelungen erforderlich, um eine 'Anarchie im Weltraum' zu verhindern", schreibt der Astronom. Er hält es für notwendig, das Weltraumrecht weiterzuentwickeln. Die Herausforderungen dabei beschreibt der frühere DDR-Diplomat und Experte für Weltraumrecht Gunter Görner im WeltTrends-Heft.

Insbesondere die ablehnende Haltung der USA habe bisher verhindert, dass die Genfer Abrüstungskonferenz wirksame Schritte beschließt, um ein kosmisches Wettrüsten zu verhindern. Zudem erinnert Görner ebenfalls an Artikel 1 des Weltraumvertrages, wonach der Weltraum als "hoheitsfreier Gemeinschaftsraum" allen Staaten gemeinsam gehört. Dadurch könne der angestrebte Weltraumbergbau "in völker­rechtlich zulässiger Weise nur als Gemeinschaftsprojekt aller Staaten ver­wirklicht werden".

Das gelte ebenso für den Weltraumtourismus sowie für den urheberrechtlichen Schutz von Erfindungen im Weltraum wie auch den Kontrollmechanismus, um den Weltraumvertrag verbindlich durchzusetzen. Damit macht der Ex-Diplomat auf weitere weniger beachtete, aber nicht minder wichtige Aspekte aufmerksam, wenn es um die künftigen Aktivitäten der Menschheit in den unendlichen Weiten des Alls geht.

Mehr zum Thema - US-Bomber im Erdorbit? Warum heute niemand Atombomben aus dem All fürchten sollte

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