Im Spiel gegen Lettland hat die deutsche Elf endlich mal ihre Torchancen genutzt. Doch die eigentlichen Erkenntnisse sind: Im Angriff hat sich Havertz aufgedrängt. Und Kimmich wird wieder zum Außenverteidiger umfunktioniert.
Viele Schützenfeste müssen in diesem Jahr ausfallen wegen der Pandemie – nicht aber jenes in der Arena von Düsseldorf. Dort wurde am Montagabend nach Herzenslust geballert, und 1000 Menschen durften von den Tribünen aus zusehen. 7:1 gewann die deutsche Nationalmannschaft gegen Lettland. Es war das letzte Testspiel vor der Europameisterschaft, die für die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw am nächsten Dienstag mit der Partie gegen Weltmeister Frankreich beginnt.
Löw war nach der Partie recht zufrieden mit dem Auftritt seines Teams. "Wir haben heute viele Dinge umgesetzt, die wir in den letzten Tagen im Training besprochen hatten“, sagte Löw, schränkte aber zugleich ein: "Frankreich wird ein Gegner eines völlig anderen Kalibers sein. Da dürfen wir uns nichts vormachen.“
In der Tat war Lettland, die Nummer 138 der Weltrangliste, ein schwacher Sparringspartner. Doch in dem Spiel ging es nicht darum, den Ernstfall gegen Frankreich zu simulieren, sondern die verschiedenen Mannschaftsteile aufeinander abzustimmen. So kamen Antonio Rüdiger, Kai Havertz und Timo Werner, alle Champions League-Sieger mit dem FC Chelsea, zum Einsatz, nachdem sie verspätet zum Team gestoßen waren. Ebenso Ilkay Gündogan vom englischen Meister Manchester City.
Rüdiger, Havertz und Gündogan fügten sich nahtlos ins Spiel ein. Vor allem Havertz fiel durch seine Vielseitigkeit auf. Er war auf beiden Offensivbahnen zu finden, setzte seine Mitspieler in Szene und suchte selbst den Abschluss. Gündogan spielte neben Toni Kroos vor der Abwehr und war in deutlich stärkerer Form als sein Nebenmann.
Dass Havertz in solch bestechender Verfassung ist, wird Löw zu harten Personalentscheidungen zwingen. Denn allein für die linke Außenbahn gibt es im Sturm mindestens drei starke Kandidaten: Leroy Sané, Timo Werner und eben Havertz.
Wen Löw aufstellen wird gegen Frankreich, verriet er am Montagabend nicht im Detail. Nur soviel: "Ein Großteil der Mannschaft, die man heute gesehen hat, wird auch gegen Frankreich starten."
Eine offene Frage ist, wo Joshua Kimmich während der EM spielen wird. Kimmich, Leistungsträger beim FC Bayern, ist mit so vielen Talenten gesegnet, dass er fast alle Positionen spielen kann – außer als Torwart. Gegen Lettland verließ er eine Stammposition im zentralen defensiven Mittelfeld und rückte auf die rechte Verteidigerposition. "Jo Kimmich brauchte da keine Anlaufzeit", sagte Löw lobend, "über rechts hat er viele gute Aktionen gehabt."
Löw nimmt aus dem Lettland-Spiel zudem die Erkenntnis mit, dass sich das Offensivspiel seiner Mannschaft deutlich verbessert hat. Die Chancenverwertung – gegen Dänemark am Mittwoch vergangener Woche noch ein Schwachpunkt – war nun hochprozentig. Fast jeder Schuss war ein Treffer gegen die schwachen Letten.
Weniger zufrieden war Löw mit dem Spannungsabfall in der zweiten Halbzeit. Manuel Neuer fing sich in seinem 100. Länderspiel ein "unnötiges Gegentor", wie Löw bemängelte: "Wir waren nicht aufmerksam genug und sind dafür bestraft worden. Das Tor entstand nach einer Standartsituation. So etwas müssen wir besser verteidigen."
Fast hatte man den Eindruck, dass Löw auch etwas froh war über den Treffer der Letten – denn so hat er in den verbleibenden Tagen noch etwas zu werkeln und zu schrauben im Training. "Jetzt fängt die Arbeit noch mal richtig an", sagte Löw gut gelaunt am Montagabend.
Die Mannschaft nimmt trotz des Gegentreffers "ein gutes Grundgefühl" mit aus der Lettland-Partie, wie Robin Goosens, Schütze des 1:0, sagte. Dem stimmte auch Thomas Müller: "Es hat sich gut angefühlt auf dem Platz heute."
Die Gefühlswelt der DFB-Elf ist also in Ordnung. Wie stabil sie ist, wird sich allerdings erst während der EM zeigen. Nach Weltmeister Frankreich wartet Europameister Portugal auf die Nationalelf. Schützenfeste werden das sicherlich nicht. Jedenfalls nicht für die Deutschen.