Von Wolfgang Nierlin
Heidelberg. Er sei ein "großartiger Schriftsteller" gewesen, wird über den verstorbenen Victor Adelman (Nicolas Bedos) bei seiner Beerdigung gesagt. Noch am selben Tag, inmitten der Insignien seines geschmackvoll eingerichteten Arbeitszimmers, erzählt seine selbstbewusste Witwe Sarah (Doria Tillier) einem jungen Autor die "wahre" Lebens- und Liebesgeschichte des Verstorbenen.
Diese erstreckt sich über einen Zeitraum von 45 Jahren und ist in etliche Kapitel sowie einen Epilog gegliedert. Nicolas Bedos und Doria Tillier, ein französisches Künstlerpaar, haben für ihren ersten gemeinsamen Film "Die Poesie der Liebe" (Monsieur & Madame Adelman) nicht nur die Hauptrollen übernommen, sondern zeichnen auch für Drehbuch und Regie verantwortlich. In einer großen Rückblende, die in der Gegenwart der Erzählerin verankert ist, thematisieren sie auf humorvolle Weise die Wechselfälle des Lebens.
"Die Strategie des Zufalls" ist das erste Kapitel der schwungvollen Liebeskomödie betitelt, die 1971 in einem schäbigen Pariser Nachtclub beginnt. Damit ist gemeint, dass die hübsche Sarah, die sich auf den ersten Blick in das "innere Charisma" des eingebildeten Möchtegernschriftstellers verliebt, dem Zufall und seinen Gelegenheiten auf die Sprünge helfen muss.
Denn der erst betrunkene, in nüchternem Zustand neurotische Eigenbrötler ist zunächst eingeschüchtert von der anspruchsvollen jungen Frau, die in klassischer Literatur promoviert und gerade dabei ist, sein Manuskript zu "korrigieren". Prompt klagt Victor gegenüber seinem Psychoanalytiker (Denis Podalydès) über Kastrationsängste. Erst der Weihnachtsabend im bürgerlich-erzkonservativen Kreis seiner Familie - Victor liest gerade demonstrativ Camus’ "Der Mensch in der Revolte" - bringt den Durch- und Ausbruch der beiden. Auf den Liebesrausch folgt so bald auch der literarische Ruhm.
Das unausgesprochene Geheimnis des Erfolgs bleibt allerdings zunächst eine Leerstelle, die gefüllt wird mit den sich bald einstellenden Wechselfällen einer Liebe, "aus der es kein Zurück gibt", wie Victor einmal sagt. In ihrer episodisch arrangierten, ziemlich tempogeladenen Chronik der Ereignisse machen Bedos und Tillier das Leben ihrer Protagonisten zum Steinbruch für die Literatur.
Victors Begeisterung für Sarahs jüdische Familie sowie seine Abrechnung mit dem eigenen Elternhaus sorgen dabei für einige turbulente Zuspitzungen. Die Lust an der Provokation und am Tabubruch wird allerdings immer wieder abgefedert von der Selbstironie einer Inszenierung, die den Anflügen des Schweren keine Zeit lässt und ihm mit Leichthändigkeit begegnet.
Woody Allens doppelbödigen romantischen Komödien könnten hier Pate gestanden haben. Wenn Sarah am Schluss ihre Erinnerungen unter dem anspielungsreichen Titel "Ein Mann unter Einfluss" zusammenfasst, wird das Geheimnis der Wahrheit ein weiteres Mal zur Fiktion.
Info: Heidelberg, Gloriette: täglich 20.50 (außer Mo., Di. im Originalton mit deutschen Untertiteln); Do., Sa., Di. auch 16.15 Uhr; So., 11.30 Uhr Matinee in der Kamera.