Von Ingeborg Salomon
Heidelberg. Wahlkampf ist nicht spaßverdächtig. Jeder Kandidat setzt sich mit geschwellter Brust in Szene, das Getöse ist gewaltig, das Ergebnis oft deprimierend. In den USA ist das nicht sehr viel anders als in Bayern oder Hessen - oder im Tierreich. Wie es zugeht, wenn von der Ameise bis zum Zebra alle Vierpfoter und Flossenträger einen neuen König wählen, setzt Cédric Pintarelli im Zwinger3 in Heidelberg in "Ich bin für mich!" eindrucksvoll in Szene. Martin Balscheit hat das gleichnamige Kinderbuch geschrieben, Menschen ab vier Jahren haben an der Uraufführung ihren Spaß, wie die Premiere jetzt bewies.
Simon Labhart und Nadja Rui leisten auf der Bühne Beachtliches, verkörpern die beiden doch in Text und Ton fast die gesamte Tierwelt und bringen sie in Zeichnungen auf eine riesige Tafel. Die kleinen Zuschauer dürfen auf gemütlichen Kissen ganz dicht an der Bühne sitzen und erleben so alles hautnah mit, was ihnen sichtliches und hörbares Vergnügen bereitet.
Die Ausgangssituation ist fast wie im Leben, soll heißen: wie in manchen Diktaturen. Bisher stieg der Löwe alle vier Jahre auf einen Hügel und fragte die Wahlversammlung, in der von jeder Art ein Tier sitzt: "Wer ist für mich?" Daraufhin hoben alle brav Pfote, Huf oder Flosse und das war’s. Doch jetzt verlangt ausgerechnet die winzige Maus einen Gegenkandidaten. Klar, dass sich alle Wichtig-Wichtigs berufen fühlen und Wahlversprechen machen. Die Ameise fordert: "Mehr Arbeit für alle", und da sie kein R sprechen kann, klingt ihre zarte Lispelstimme ein wenig Chinesisch. Das flauschige Schaf blökt mit französischem Akzent: "Meine Wolle gehört mir." Auch Ferdinand, der friedliebende und als Kinderbuchklassiker wohlbekannte Stier, will König werden und fordert "Freiheit für alle". Das klingt immerhin ziemlich menschlich.
Simon Labhart und Nadja Rui agieren mit großer Spielfreude, Mimik und Gestik sind tierisch präzise. Viel Bühnenbild braucht Pintarellis Inszenierung daher nicht, eine Leiter, eine drehbare Tafel und Kreide genügen, Wasser und Erde zum Matschen sind ebenfalls reichlich vorhanden. Schließlich wird gewählt und - o Wunder - alle Tiere haben sich jeweils ihre eigene Stimme gegeben, nur der Löwe hat sich enthalten. Das Gemeinwohl bleibt im allgemeinen Chaos völlig auf der Strecke, und die Tiere merken schnell, dass es so ganz ohne König auch nicht geht.
Also sollen Neuwahlen es richten, darüber sind sich sogar Maus und Löwe einig. Doch der Wal hat keinen Bock auf die Wahl, und der Strauß steckt den Kopf in den Sand. Schließlich stellt sich nur ein Tier zur Wahl - und das gewinnt auch. Doch Überraschung: Es ist nicht der Löwe. Für Menschen ab vier Jahren ist diese 40-minütige Lehrstunde in Sachen Demokratie weit komischer als die Realität.
Info: Die nächsten Vorstellungen sind am 16. November, um 9.30 und 10.45 Uhr. Alle Termine und Karten unter www.theaterheidelberg.de