Von Michael Abschlag
Heidelberg. Als Jörg Meuthen gerade über die EU spricht und vor den "Vereinigten Staaten von Europa" warnt, hält es der Zuhörer nicht länger aus. "Herr Meuthen, das ist Geschichtsklitterung!", ruft er dem AfD-Bundessprecher zu und stürmt aus dem Saal. Meuthen gibt sich amüsiert, doch fünf Minuten später erhebt sich der nächste Zuhörer und protestiert. Als er vortritt, geht sein Schimpfen in einem wütenden Pfeifkonzert unter, viele rufen: "Raus!" Einige springen auf, der Mann wird aus dem Saal geleitet. Als eine RNZ-Redakteurin dies filmen will, versucht der AfD-Landtagsabgeordnete Rüdiger Klos dies zu verhindern, indem er sein Jacket vor ihre Kamera hält. (siehe Video)
Diese Veranstaltung der "Alternative für Deutschland" polarisiert. Eine halbe Stunde vorher stehen draußen, vor der Halle, 2000 Gegendemonstranten. Als Meuthens Wagen vorfährt, werden kurz "Nazis raus"-Rufe laut, verstummen dann aber - es soll ein friedlicher Protest werden.
Für Empörung sorgt nicht nur die Veranstaltung selbst, sondern auch das symbolträchtige Datum: Der 9. November, seit jeher ein zwiespältiger Schicksalstag der Deutschen, steht dieses Jahr vor allem im Gedenken an den 80. Jahrestag der Reichspogromnacht.
Bei der AfD weiß man durchaus um die Brisanz dieses Datums. So ist vor allem Malte Kaufmann, Vorsitzender der AfD Heidelberg bemüht, jeglichen Verdacht des Antisemitismus weit von sich zu weisen. "Wir mussten diesen Tag nehmen, da nur heute die Halle frei war und alle Redner Zeit hatten", erklärt er. Man lehne Antisemitismus selbstverständlich ab und beschäftige sich intensiv mit diesem Thema. Und um jeglichen Verdacht auszuräumen, verkündet er: "Die Hauptstadt Israels ist natürlich Jerusalem" - eine Position, die so bisher im wesentlichen nur Israel selbst (und inzwischen Donald Trump) teilt.
Die AfD präsentiert ein simples, aber geschicktes Narrativ, das später Ralf Özkara vom Landesvorstand der Partei so ausformulieren wird: "Viele Juden kamen kurz nach 1945 zurück in die Bundesrepublik und haben dort sechzig Jahre lang unbehelligt gelebt. Dann kamen die Muslime, und jetzt haben wir hier wieder Antisemitismus." Meuthen spricht mit Blick auf die Zuwanderung von einer "Weltoffenheit, die Judenhasser importiert." Antisemitismus erscheint hier als ausschließlich muslimisches Problem.
Dabei gibt aus auch gegen die AfD immer wieder Vorwürfe, Antisemitismus in ihren Reihen zu dulden. Bekannt wurden der thüringische Rechtsaußen Björn Höcke, der das Holocaust-Mahnmal einst ein "Denkmal der Schande" nannte und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte, ebenso Fraktionschef Alexander Gauland, der den Nationalsozialismus einst als "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte bezeichnete. In einer Allensbach-Umfrage vom Sommer 2018 sagten 17 Prozent der Parteianhänger, sie würden nicht gerne neben Juden wohnen (im Bevölkerungsschnitt waren es drei Prozent). Alles Dinge, von denen man sich an diesem Abend hätte distanzieren können. Tat man aber nicht.
Stattdessen konzentriert sich die AfD auf die Auseinandersetzung mit dem Islam. Und sie erhält Schützenhilfe aus dem Saal: Ein älterer Herr aus der ersten Reihe, der sich selbst als "Jude aus Tel Aviv" vorstellt, bekennt unter lautem Jubel seine Solidarität zur AfD. "Wir fühlen uns bei dieser Partei sicher", sagt er, "denn wir wollen nicht von Muslimen abgeschlachtet werden." Aber hat nicht Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, die AfD scharf kritisiert? Der Mann winkt ab: "Schuster ist ein Grünen-Anhänger. Wäre er Präsident Israels, gäbe es das Land gar nicht mehr." Er fühle sich "an die Hitler-Zeit" erinnert.
Meuthen ist da in seiner Wortwahl weitgehend vorsichtiger. Er doziert, spricht vom "Jargon aufgekratzter Moralität" und einer "Diskurshegemonie der Linken" - fast fühlt man sich wie in einem politikwissenschaftlichen Seminar. Dazwischen streut er Anekdoten und, wohldosiert, schärfere Formulierungen, wenn er etwa "Nationalmasochismus" und "Kulturmarxismus" anprangert, der in ein "identitätsloses Nichts" führe. Malte Kaufmann, der nach ihm spricht, geht noch weiter und spricht davon, dass über die Migrantenroute "Tausende Terroristen" ins Land gekommen seien.
Der eigentliche Mann für die scharfen Töne aber ist Guido Reil, ehemaliges SPD-Mitglied aus Essen. Er wettert über libanesische Clans, deren Mitglieder "23 mal häufiger" als Deutsche kriminell seien und oft mehrere Frauen hätten. Er klagt über "spätrömische Dekadenz" und verweist darauf, dass "Rom durch eine Flüchtlingsinvasion, nämlich die Völkerwanderung, unterging". Werde Europa islamisiert, falle es "um Tausend Jahre zurück", prophezeit er düster. Und er fordert unter tosendem Jubel: "Frau Merkel soll auf die Knie gehen und sich vor ihrem Volk entschuldigen!"
Wir gegen den Islam - das ist im Wesentlichen die Botschaft an diesem Abend. Mit ihr entlässt die AfD ihre Zuhörer in die Herbstnacht, an diesem 9. November in Deutschland.