Von Ursula Brinkmann
Haßmersheim. Großes Gedränge herrschte am Montagabend im Sitzungssaal des Haßmersheimer Rathauses. Rund 100 Bürgerinnen und Bürger wollten dabei sein, wollten fragen und sich kritisch dazu äußern, was als quasi einziger Punkt auf der Tagesordnung für den Gemeinderat stand: die Gesamterschließung Nord III mit den beiden Funktionen Wohnen und Versorgung auf 11,6 Hektar. Dieser Punkt war am 23. Juli von der Tagesordnung "wegen noch bestehenden Beratungsbedarfs" gestrichen worden. Beide Sitzungen waren zusätzliche Termine im Kalender.
Im Verlauf der vergangenen Wochen hatte das Thema Nord III der Bürgerinitiative "Pro Natur am Spurweg" immer mehr Interesse und Mitglieder beschert. Bei insgesamt vier "Spaziergängen" versuchten BI-Mitglieder ein anschauliches Bild davon zu vermitteln, was mit der vorgesehenen Planung am Westrand der Gemeinde entstehen soll. Unmittelbar vor der letzten Sitzung verteilten sie "wichtige Informationen" aus dem Verkehrsministerium zur "Maßnahme Umgehungsstraße", denn längst wird die Erschließung des Baugebiets Nord III im Zusammenhang mit einer Ortsrandentlastungsstraße gesehen, die für den größten Verdruss sorgt. Auf der Tagesordnung stand die Straße nicht, in den Fragerunden spielte sie gleichwohl eine große Rolle. Doch es wurde über manches im Rathaus geredet, das nicht Gegenstand der Beschlussvorlage war.
Konfrontiert mit Darstellungen in einem Leserbrief, mit Fragen und Äußerungen aus den Besucherreihen gerieten Bürgermeister Michael Salomos Antworten mehr und mehr zu einer Grundsatzrede zum Status quo und zur Weiterentwicklung der Gemeinde. "Es geht um mehr als um zwei Reihen mit Häusern", machte Salomo deutlich, dass er die aktuellen Planungen im Kontext sieht. Und der reicht von einem Versorgungszentrum und zu schaffenden Kindergartenplätzen über den Bedarf an Pflegeplätzen und einer attraktiveren Ortsmitte (mit weniger Durchgangsverkehr) bis zu wirtschaftlichen Entwicklungen in der Region ("Lidl baut in Bad Wimpfen seine neue Konzernzentrale."). Auf die nicht erst an diesem Abend zum ersten Mal geäußerte Befürchtung, Bauplätze für Heilbronner zu schaffen, was die Preise steigen lasse, reagierte SPD-Fraktionsvorsitzender Sven Schwager: "Keine Angst vor Zuwanderern aus dem Unterland; sie werden zu Haßmersheimern!" Für seine Ankündigung, im Namen der Fraktion für den Beschlussvorschlag der Verwaltung stimmen zu wollen, bekam Schwager Applaus.
Mit solchem wurden aber auch andere Meinungsäußerungen quittiert. Etwa als CDU/UFW-Kollege Michael Hönig eingestand, bei der ganzen Nord III-Debatte die Bürger zu wenig mitgenommen zu haben. Was Bürgermeister Michael Salomo anders sah und Punkt für Punkt auflistete, was wann wo dazu entschieden und gesagt worden war. Man ("Die Gemeinderäte ehrenamtlich!") sei seit fast anderthalb Jahren mit der Sache befasst und habe immer wieder informiert und eingeladen. "Wir haben Plattformen mit Bürgerversammlung oder Ortsbegehungen geschaffen", erwiderte er beispielsweise einem Mann, der empfahl, die "schlauen Köpfe Haßmersheims" zu beteiligen, "aber es wurde zu wenig genutzt", stellte der Rathauschef fest und blickte dabei in ungewöhnlich volle Besucherreihen. Mehrfach appellierte er an die Haßmersheimer, die Sitzungen der Volksvertreter häufiger zu besuchen und lud zum Dialog ein. "Ich bringe auch den Kuchen mit." Denn eines wolle er nicht: dass sich Fronten aufbauen.
Worin die Unterschiede einer Gesamt- gegenüber einer Teilerschließung lägen, erschließe sich ihm erst jetzt, kündigte Christian Dorn (Freie Wähler) seiner Zustimmung zur Beschlussvorlage an - "wenn auch zähneknirschend". Bertram Schmitt (Bürgerliste) war nach eigenem Bekenntnis unter Bürgermeister Marcus Dietrich noch gegen Bauplätze am Ortsrand und für Innenentwicklung gewesen. "Aber da hocken viele auf ihren Grundstücken wie die Glucke auf den Eiern", erklärte er seinen Sinneswandel. Johannes Höfer von den Freien Wählern schlug einen großen Bogen des Zweifelns an den Plänen. Zu groß, zu viel Naturverlust, zu viele Schulden. Zu letzterem entgegnete Salomo, dass die Gemeinde schließlich nur als Zwischenfinanzier agiere.
Gelächter oder Klatschen - je nach Standpunkt - zeigten auch am Montagabend, dass Haßmersheims Entwicklung durchaus unterschiedlich bewertet wird. Fast einheitlich hingegen fiel das Votum der Abstimmung zur Beschlussvorlage aus: ein Gemeinderat stimmte gegen die Gesamterschließung, eine Gemeinderätin enthielt sich der Stimme. Was auch für den Zusatz im Beschlussvorschlag gilt: "Der Abverkauf der Bauplätze soll ab Fertigstellung auf mindestens fünf Jahre erfolgen."