Von Andrea Döring
Mannheim. Die Freundin sieht Dämonen und hört Stimmen, der Sohn äußert Selbstmordabsichten. Was tun? Viele Menschen stehen psychischen Erkrankungen und Menschen in Krisen ratlos gegenüber. Mit der Einrichtung von Erste-Hilfe-Kursen für die Seele, will das Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim Abhilfe schaffen. Die Leitung hat Michael Deuschle, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Organisatorin ist Gesundheitswissenschaftlerin Susanne Ratzka. Im April 2019 soll die Ausbildung der Kursleiter für Mental Health First Aid (MHFA) beginnen. Die Non-Profit-Einrichtung, die es bereits in mehr als 20 Ländern gibt, soll mit Hilfe einer Anschubfinanzierung durch die Dietmar Hopp Stiftung bundesweit für eine bessere Versorgung von Menschen mit seelischen Problemen sorgen.
"Wir machen etwas, was die Psychiatrie verändern wird", meint Deuschle. Die Grundidee sei, Laien zu vermitteln, wie man Menschen in seelischer Not helfen kann und wann und wo man professionelle Unterstützung holen muss, ähnlich wie bei Erste-Hilfe-Kursen für den Körper, die jeder spätestens vor der Führerschein-Prüfung ablegen muss.
"Es geht aber nicht nur um psychische Erkrankungen, sondern auch um Krisen", betont Deuschle. Nicht jeder, der wegen des Todes eines geliebten Menschen oder einer Trennung traurig ist, muss gleich in die Psychiatrie. Doch auch in einer solchen Situation brauchen viele Betroffene Unterstützung.
"Wir wollen erreichen, dass die Leute sich trauen, hinter der Krise den Menschen zu sehen", berichtet Ratzka. Sie sollen direkte Hilfe leisten können und mit dem Wissen über seelische Erkrankungen und die psychiatrischen Versorgungssysteme eventuell weitere Schritte einleiten können.
Was ist eine Psychose? Wie kann sich eine Depression äußern? Welche Symptome deuten auf eine Angststörung hin? Diese Fragen sollen in den Kursen geklärt werden. ALGEE heißt das Vorgehen, das Präventionsforscher Anthony Jorms und die Krankenpflegerin Betty Kitchener in Australien entwickelt haben. "Approach, assess and assist with any crisis": Krisen zu erkennen und sich dem Problem zuzuwenden, ist der erste Schritt. Viele Menschen bemerken Krisen, neigen aber dazu, die Flucht zu ergreifen, statt zu helfen. Zuhören ohne zu urteilen, ist der nächste. Das klingt einfacher als es ist.
Viele Menschen erteilen zu schnell Ratschläge, denn es ist nicht einfach, Sorgen und Ängste eines anderen auszuhalten. In Rollenspielen kann man das üben. Wichtig ist auch zu wissen, dass man körperliche Zuwendung nur vorsichtig einsetzen sollte. Eine Umarmung oder das Halten der Hand ist für manche Betroffene bereits zu viel. Angemessen reagieren, heißt daher der dritte Abschnitt. Als Unterstützung kann zum Beispiel schon reichen, einfach bei dem Menschen zu bleiben.
Wenn die Krise nicht abklingt, sollte man professionelle Hilfe anfordern. Wenn weitere Unterstützung, etwa von Familie oder Freunden, nötig ist, sollte man sich auch darum kümmern können. "Menschen, die die Kurse besucht haben, fühlen sich sicherer und trauen sich mehr zu", berichtet Ratzka. Das ist auch die Erkenntnis einer Studie des Karolinska-Instituts in Stockholm aus dem Jahre 2014, die die Daten von 3000 Teilnehmern aus mehreren Ländern ausgewertet hat. "Es gibt aber bisher nur unzureichende Daten darüber, ob die Kurse das Schicksal seelisch Betroffener positiv beeinflussen können", ergänzt Deuschle.
Er hofft auch, dass das Stigma, das vielen seelischen Erkrankungen immer noch anhaftet, geringer wird. Das ZI will die Einführung der Kurse wissenschaftlich begleiten. Doch bis dahin ist noch viel zu tun. Ab Oktober werden die Materialien übersetzt, Lehrvideos gedreht, eine Website mit praktischen Tipps gestaltet, die Ausbilder geschult und Module beispielsweise für Jugendliche und Erwachsene, Lehrer und Betriebe entwickelt.
Bei den Betroffenen kommen die Pläne gut an. Einer, der in Selbsthilfegruppen bereits vielen Menschen geholfen hat, sagt: "Die Idee ist prima. Die Leute stehen nicht mehr mit Gefühlen und Ängsten allein auf der Straße. Sie und die Helfer werden wissen, wo sie sich hinwenden können".