Von Claus Weber
Sandhausen. Kenan Kocak war in den letzten Tagen ein gefragter Mann. Der Trainer des SV Sandhausen musste viele Interviews geben. "Mehrere TV-Sender waren hier", verriet Pressesprecher Markus Beer. Der Zweitligist aus der Kurpfalz, der in den großen Medien sonst eine kleine Rolle spielt, ist in den Fokus geraten, weil Absteiger Hamburger SV am Sonntag (13.30 Uhr) am Hardtwald sein erstes Auswärtsspiel in der Zweiten Liga bestreitet - und die Gegensätze kaum größer sein könnten. Dort der Bundesliga-Dino, hier der Fußball-Zwerg. Der Klub aus der Millionen-Metropole gegen den Dorfverein - verrückter geht’s nicht.
"Das ist das absolute Highlight für uns", freut sich Geschäftsführer Otmar Schork über einen der attraktivsten Gegner, den die Sandhäuser je in einem Pflichtspiel begrüßen durften.
Bei so vielen Superlativen fällt es schwer, vor lauter Vorfreude und Respekt nicht in Ehrfurcht zu erstarren. Das weiß auch Kocak. "Ich brauche Spieler, die den HSV schlagen wollen", erklärte der Trainer, "Leute, die das Spiel genießen, sich wohlfühlen und hinterher Fotos schießen wollen, sind fehl am Platz."
Es ist nicht unbedingt eine Kampfansage, die der Trainer am Donnerstag formulierte, aber Kocaks Worte zeugen von gesundem Selbstbewusstsein. "Wir können uns mit dem HSV nicht vergleichen", sagte der Coach, "aber wir haben die Qualität, die Hamburger an einem guten Tag zu ärgern."
So wie es bereits Holstein Kiel zum Saisonstart getan hat, das den HSV im eigenen Stadion mit 3:0 düpierte und zum Gespött der Medien machte. "Was da geschrieben wurde, ist übertrieben", meinte Kocak, "jetzt meldet sich jeder Experte zu Wort und möchte HSV-Trainer Christian Titz erklären, wie Zweite Liga geht."
Er habe das Spiel anders gesehen, sagte Kocak. "Der HSV hätte nach einer halben Stunde 3:0 führen müssen", meinte er, "und es stimmt auch nicht, dass die Hamburger keine klare Spielidee haben." Das Gegenteil sei der Fall. "Die haben auch noch Plan B und C im Köcher."
Gegen Kiel haben sie allerdings nicht gefruchtet. Was kein Gegensatz, sondern eine Parallele zum SV Sandhausen darstellt. Denn auch die Kurpfälzer haben ihr Auftaktspiel verloren, was besonders bitter war, weil sie in Fürth bis zur 77. Minute in Führung lagen und noch mit 1:3 untergingen. "Wir haben das Spiel bis zum Ausgleich dominiert und bis auf Distanzschüsse nichts zugelassen", sagte Kocak, "doch wie wir uns in den letzten zwölf Minuten verhalten haben, das hatte mit Zweitliga-Fußball nichts zu tun."
Beim Ausgleichstor waren drei von vier Verteidigern unkonzentriert. Gegen den HSV fordert der Trainer eine entsprechende Antwort. "Das war ein einmaliger Ausrutscher", ist er überzeugt, "das passiert uns nicht mehr."
Auch die Offensive hat Luft nach oben. "Bis zum Sechzehner haben wir gut gespielt", meinte Kocak, doch zu wenige Pässe fanden den Weg in den Strafraum.
Auf Karim Guédé, den Kocak nach dem Rückstand in Fürth ins Spiel warf, kann er in den nächsten Wochen nicht zurückgreifen. Der erfahrene Stürmer hat sich am Sonntag das Innenband im Knie gerissen und wird vier bis sechs Wochen ausfallen. "Das ist schade, denn er hatte mit jeder Einheit mehr Nähe zum Team gefunden." Auch Nejmeddin Daghfous hatte sich nach seiner Muskelverletzung herangekämpft. Nun fällt der Rechtsaußen - in der Vorsaison Stammspieler - sechs bis acht Monate aus, weil er sich im Training bei einem Pressschlag das Kreuzband gerissen hat. "Er ist ein sehr wichtiger Baustein in unserer Philosophie", sagte Kocak und klagte: "Die beiden Ausfälle sind für uns wie ein Schlag ins Gesicht, aber wenn eine Mannschaft solche Verletzungen wegstecken kann, dann wir." In der Vorsaison erlitten Sandhäuser Spieler acht Knochenbrüche.
Mit Andrew Wooten und Korbinian Vollmann sind zwei Offensivkräfte zwar wieder ins Training eingestiegen. Gegen den HSV sind sie am Sonntag wohl aber noch keine Option. "Sie haben fast die komplette Vorbereitung gefehlt", sagte Kocak, "wir müssen Geduld haben."
So könnte Sandhausen spielen: Schuhen - Klingmann, Kister, Karl, Zhirov, Müller - Zenga, Förster, Linsmayer - Schleusener, Gislason.