Von Diana Deutsch
Es ist schon krass, was die Milchhexe da macht: Das garstige Weib schlägt seine Axt in einen Balken und zapft damit die Milch aller Kühe im Dorf ab. Ein Albtraum für die Bauern im Mittelalter. Milch war Grundnahrungsmittel, ohne Milch verhungerte die Familie. Aber warum malt man solch eine Schreckensvision an die Wand einer katholischen Kirche? Diese Frage stellt sich in Eppingen, wo 1975 die spätmittelalterliche Milchhexe unter etlichen Schichten Putz entdeckt wurde. Das Hexenfresco ist nicht die einzige Besonderheit auf dem Kirchhügel. Hier oben lernt man viel über den Glauben und die Kurpfalz.
Eppingen hatte unfassbares Glück. Als die Truppen des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. um 1690 gnadenlos alle kurpfälzischen Städte und Dörfer niederbrannten, machten sie kurz vor Eppingen plötzlich Halt. Und kehrten um. Ob die Franzosen wirklich abgeschreckt wurden von der "Eppinger Linie", einem 90 Kilometer langen Wall aus Baumstämmen und Gräben, sei dahingestellt. Hauptsache, das Eppinger Fachwerk hat überlebt.
Zauberhaft ist er anzusehen, der Kirchhügel mit seinen geschichteten Fachwerkhäusern, zu deren Fuß Elsenz und Hilsbach plätschern. Die mittelalterliche Silhouette wird bekrönt von einem Gotteshaus, dessen achteckiger, schiefergedeckter Turm gotisch-spitz zum Himmel hinaufstrebt. Die katholische Pfarrkirche "Unserer Lieben Frau". Am stilvollsten nähert man sich ihr zu Fuß vom Elsenzpark aus, wo 2021 die Landesgartenschau stattfindet.
Der Aufstieg führt vorbei an der Alten Universität und am Pfeifferturm. Alle Straßen sind gekurvt und gekrümmt. Die Gerade ist eine Erfindung der Neuzeit. "Unserer Lieben Frau" begrüßt den Ankömmling mit einer doppelstöckigen gotischen Vorhalle, in alten Zeiten "Paradies" genannt. Eine absolute Rarität. Oben im dreieckigen Dächlein hängt ein Konzertcarillon mit 49 Bronzeglocken. Zu jeder vollen Stunde lässt das Glockenspiel eine Melodie erklingen. Im Sommer gibt es hochkarätige Konzerte.
Der Eppinger Kirchhügel ist durchbetete Erde. Angeblich haben schon die Merowinger 630 hier eine Kirche errichtet. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts krönte den Hügel ein frühgotisches Kirchlein mit Turmchor. Der viereckige Unterbau blieb erhalten. Mitsamt seiner Fresken. Es ist ein wunderschöner, künstlerisch hochwertiger Bilderzyklus, der die Menschwerdung Gottes und die Passion Christi schildert.
1435 fügte man dem frühgotischen Chor ein spätgotisches Langhaus an, 1459 kam die markante Turmspitze hinzu. Dann war es vorbei mit der katholischen Pracht. 1563 führte Kurfürst Friedrich III. in der Kurpfalz die calvinistische Reformation ein. Die Altäre brannten, die Fresken verschwanden unter Putz. Ab 1705, inzwischen regierte wieder ein katholischer Kurfürst, nutzten Katholiken und Protestanten Unserer Lieben Frau simultan. Die Evangelischen beteten im Langhaus, die Katholiken im Chor. Eine Mauer schied die Konfessionen. Sie fiel erst 1878, als Eppingen seine evangelische Kirche erhielt.
Die Milchhexe entstand übrigens um das Jahr 1517. Der Straßburger Prediger Johann Geiler von Kaysersberg zog damals, erfüllt von glühendem Hexenwahn, durch die Kraichgauer Lande. Wenn eine Kuh keine Milch gibt, so seine flammende Rede, habt ihr eine Hexe im Dorf. Geht, findet und verbrennt sie. Gut, dass wir heutzutage immun sind gegen derlei Propaganda.