Von Christoph Moll
Nußloch. Betonstücke liegen auf dem Rasen, daneben verbogene Gartenstühle: Die Spuren des Unglücks vom Juli vergangenen Jahres sind nach wie vor sichtbar. Auch ein halbes Jahr nach dem Absturz mehrerer Balkone an einem Mehrfamilienhaus in der Heidelberger Straße liegen die Trümmer noch immer an Ort und Stelle.
Die "Wunden" an der Hauswand sind provisorisch mit Folie abgeklebt, sodass keine Feuchtigkeit eindringen kann. Auch wenn es so scheint, als wäre hier die Zeit stehen geblieben, hat sich im Hintergrund einiges getan: Polizei und Staatsanwaltschaft haben ihre Ermittlungen inzwischen abgeschlossen, in den kommenden Tagen sollen aus Sicherheitsgründen ebenfalls gesperrte baugleiche Balkone am Unglückshaus und an Nachbarhäusern abgerissen werden.
Zunächst ein kurzer Rückblick: Es ist ein lauer Sommerabend im Juli 2017, als an dem Mehrfamilienhaus in der Heidelberger Straße 22 im zweiten Stock ein Balkon abbricht und einen 33-Jährigen sowie dessen zweijährigen Sohn mit in die Tiefe reißt. Beide bleiben wie durch ein Wunder fast unverletzt. Der Sturz wird durch die beiden darunterliegenden Balkone abgebremst, die ebenfalls abbrechen.
Bereits einen Tag nach dem Unglück reagiert das Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises in Heidelberg. Es verbietet den Bewohnern von insgesamt 96 Wohnungen in acht baugleichen Häusern aus den 70er-Jahren aus Sicherheitsgründen, auf den Balkon zu gehen. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass noch weitere Balkone abbrechen. Schon damals besteht der Verdacht, dass das Unglück durch durchgerostete Eisenmatten ausgelöst wurde.
Dies bestätigte das Gutachten eines Sachverständigen, das die Heidelberger Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben hatte. Inzwischen sind die Ermittlungen abgeschlossen, wie Thomas Bischof, der Sprecher der Staatsanwaltschaft, auf Anfrage der RNZ bestätigte: "Haupt-, aber nicht alleine ursächlich war die nicht fachgerechte Abdeckung des Balkonbelags." Es seien Ermittlungen gegen einen Handwerker aufgenommen worden, der vor etwa 15 Jahren die Abdichtung erneuert hat.
Dennoch soll Wasser eingedrungen sein, sodass die Eisenmatten im Beton rosteten. Das Verfahren gegen ihn sei aber eingestellt worden, weil der Mann inzwischen um die 70 Jahre alt sei, sein Handwerksunternehmen aufgegeben hat und noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. "Somit muss er nicht davon abgehalten werden, künftig weitere Balkonabdichtungen herzustellen", sagt Bischof. Es habe zwar ein hinreichender Tatverdacht gegen den Handwerker bestanden, aber wegen der geringen Schuld und des mangelnden öffentlichen Interesses sei das Verfahren mit Zustimmung des Gerichts eingestellt worden.
Es habe aber noch weitere Faktoren gegeben, die zu dem Balkonabsturz geführt hätten, so Bischof. So seien der Betonaufbau des Balkons sehr schwer und die eingebauten Eisenmatten mangelhaft gewesen. Außerdem hätten die früheren Bewohner der Wohnung im Winter Salz auf den Balkon gestreut, was das Rosten beschleunigt habe.
Das Betretungsverbot der Balkone hat die Hauseigentümer unter Zugzwang gesetzt. Sie mussten entscheiden, ob sie die Balkone von einem Sachverständigen auf ihre Sicherheit überprüfen oder abreißen und durch eine Außenkonstruktion ersetzen lassen. Die Eigentümer des Unglückshauses und des benachbarten Hauses mit der Nummer 20 mit jeweils zwölf Wohnungen haben sich für Letzteres entschieden.
Der Ingenieur Volker Raule mit Büro in Nußloch war bereits am Unglücksabend vor Ort und plant die Arbeiten, die bereits genehmigt sind. Der Abriss soll in den kommenden Tagen beginnen. Die noch vorhandenen Balkone werden bündig an der Fassade "abgeschnitten". Die neuen Balkone sollen Mitte März montiert werden. An den Häusern mit den Nummern 24 und 26 sollen die Balkone ebenfalls abgerissen und ersetzt werden.
Die Eigentümer der restlichen vier Häuser mit den Nummern 12, 14, 16 und 18 haben sich dazu entschlossen, Gutachten erstellen zu lassen. Volker Raule berichtet, dass bei den Häusern 16 und 18 die Balkone geöffnet und keine Korrosion festgestellt worden sei. Dennoch sei der Gutachter zu dem Schluss gekommen, dass die Balkone nicht sicher sind, weil sie nicht ganz nach Plan gebaut worden seien.
Raule sieht das anders: "Die Wiederholung des Unglücks ist dort ausgeschlossen, weil es keine Korrosionsschäden gibt", sagt er. "Es war nicht gefordert, dass das Bauwerk bis auf das letzte i-Tüpfelchen nachgerechnet wird." Zudem seien die beiden Häuser nicht baugleich mit dem Unglückshaus. Der Architekt sei zwar derselbe gewesen, aber die Balkone seien größer und es gebe keine Betonbrüstungen.
"Unsere Allgemeinverfügung mit dem ausgesprochenen Betretungsverbot gilt nach wie vor, da keine Bescheinigungen, die die Sicherheit der Balkone nachweisen, bisher bei uns eingegangen sind", teilte Silke Hartmann, die Sprecherin des Landratsamtes auf RNZ-Anfrage mit. So lange darf nur der Wäscheständer raus.