Von Joachim Klaehn
Zuzenhausen. Ruhe bewahren, Selbstbewusstsein ausstrahlen, häufiger den Abschluss suchen und wieder den Ball in Maschen dreschen - so lauten die Kernbotschaften von Julian Nagelsmann vor dem Bundesliga-Spiel der TSG 1899 Hoffenheim am Samstag (15.30 Uhr/Sky) beim souveränen Spitzenreiter FC Bayern München. Wieviel Widerstandskraft der Kraichgauklub beim Rekordmeister zu entwickeln vermag, ist gemessen an den jüngsten Eindrücken ungewisser denn je. "Wir haben gerade keinen Mega-Run, die Bayern hingegen schon", so Nagelsmanns realistische Herangehensweise, "aber nur hinzufahren und zu schauen, dass wir nicht verlieren, wäre der falsche Ansatz. Wir versuchen schon, zu gewinnen, so ist der Plan ausgelegt. Mal gucken, ob wir das hinbekommen." Nagelsmann ist niemand, der auf Schadensbegrenzung aus ist. Nein, dieser junge Fußballlehrer hat immer das oberste Limit des Umsetzbaren im Visier.
Es ist bemerkenswert, dass die Bayern-Stars in dieser Woche vorwiegend hinter blickdichten Vorhängen an der Säbener Straße trainieren. Jupp Heynckes, der Grandseigneur der deutschen Trainerzunft, will keinen Spannungsabfall bei seinem Starensemble riskieren. Auch er kennt die letzten Zahlen gegen Hoffenheim, die sein Vorgänger Carlo Ancelotti mit zu verantworten hatte. Nagelsmann jedenfalls hat seit seiner Inthronisierung am 11. Februar 2016 noch nie gegen die "Roten" verloren. 1:1, 1:0 und zuletzt am 9. September 2:0 - die "Nagelsmänner" glänzten als Bayern-Bezwinger. Es ist durchaus nachvollziehbar und legitim, dass sich "Hoffe" an dieser kleinen Serie hochzieht und Mut daraus schöpft. "Wir haben jetzt in meiner Amtszeit dreimal erfolgreich gegen die Bayern gespielt. Ich traue uns das ein viertes Mal zu", sagte Schelm Nagelsmann. Und packte vor dem Wiedersehen mit den Ex-Hoffenheimern Sebastian Rudy, Niklas Süle und Sandro Wagner noch einen humorvollen Spruch in Richtung Sturmtank drauf: "Er soll ein schönes Tor schießen - vielleicht kann Sandro das am Samstag ja für uns machen." Also Schützenhilfe der besonderen Art ...
Hoffenheims Cheftrainer versuchte bei der gestrigen knapp halbstündigen Pressekonferenz auch die sportliche Krise seines Kollektivs einzuordnen. Es sei "ein komplexes Feld", von der Spielanlage her würde man nicht zwingend schlechter agieren und ebenfalls nicht schlechter verteidigen als in der vergangenen Saison. Aber: Die Konkurrenz hinter den Bayern ist größer geworden, Leverkusen, Schalke und Gladbach sind zurück, Frankfurt, Augsburg und Hannover "schwirren um uns herum" (Nagelsmann). Und: Es fehlt an Effektivität und Kaltschnäuzigkeit. Nach dem künftigen Schalker Mark Uth (neun Treffer) klafft eine Lücke - Bayern-Spätrückkehrer Wagner (4), Gnabry, Hübner, Amiri, Demirbay, Geiger und Kramaric (je 2) sind die nächstbesten. "Bei uns sind es die kleinen Prozentpunkte und Nuancen", fasste Nagelsmann das Thema Abschlüsse und Ausbeute zusammen, "es ist letztendlich eine simple Wahrscheinlichkeitsrechnung: Bei zehn Möglichkeiten ist die Chance auf ein Tor größer als bei nur zwei." Schwächere Phasen wie derzeit seien normal - gehörten eben zu den Gesetzmäßigkeiten des Profisports. Nagelsmann kämpferisch: "Ich bin keiner, der nur noch graue Bilder malt und dunkle Wolken aufziehen sieht."
Am Rande des Spielfeldes ist es auch ein Vergleich der Trainergenerationen. Titelsammler Heynckes (72) möchte Jüngling Nagelsmann (30) - ungeachtet von irgendwelchen Zukunftsszenarien - in die Schranken weisen. Voller Respekt sagte der TSG-Coach angesichts von Heynckes’ Erfolgen als Spieler und Trainer: "Da kann man nur Applaus klatschen. Das kann für einen jungen Trainer nur ein Ansporn sein, mal in ähnliche Dimensionen vorstoßen zu können."
Laut Bild und Süddeutsche Zeitung soll Nagelsmann für 2018/19 und einer etwaigen Heynckes-Nachfolge nicht mehr die Nummer eins auf dem Bayern-Wunschzettel sein. Prophylaktisch erklärte Nagelsmann vor der samstäglichen Dienstreise: "Ich werde mich zu keinem Trainergesuch bei anderen Vereinen mehr äußern. Ich kann nur erneut betonen, wie gerne ich hier jeden Tag auf das TSG-Gelände fahre und wie sehr ich mich diesem Verein verbunden fühle."
In der Ruhe liegt die Kraft - vor dem komplizierten Stresstest und der "Mutprobe" in München.