Was passiert mit dem Fußball, wenn Künstliche Intelligenz ihn vorhersagbar macht? Ein KI-Unternehmer spricht im stern über seine unpopulären, aber zutreffenden Sport-Prognosen.
Herr Wendt, wie geht die Meisterschaft laut KI in diesem Jahr aus?
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 97,3 Prozent zu Gunsten der Bayern. Absteigen werden St. Pauli, Holstein Kiel und Bochum. Diese Vorhersagen haben wir am Anfang der Saison auf Basis der Kaderstärken getroffen.
Woher nehmen Sie diese Informationen?
Wir haben eine AI-Data-Science-Firma namens "Plaier" gegründet und eine Datenbank von 300.000 Spieler, mit jeweils 140 Attributen erstellt. Die Daten setzen wir in ein Verhältnis und können so Prognosen treffen.
Und die Prognosen treffen auch zu?
Man muss bedenken, dass wir über mathematische Wahrscheinlichkeit reden. Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es dabei nicht. Daher kommt es auf die Menge der korrekten Vorhersagen an, nicht auf einzelne.
Ihre KI hat aber richtig vorhergesagt, dass der Erst- und Zweitplatzierte am Ende der Bundesligasaison 2022/23 punktgleich sein werden.
Das stimmt. Dennoch sind solche Meisterschafts-Prognosen ein Abfallprodukt aus dem, was wir tun. Andere Dinge in unserer täglichen Arbeit sind viel wichtiger.
Nämlich?
Unser Kerngeschäft besteht darin, dass wir vorhersagen, ob ein Spieler einen Verein besser macht oder nicht. Und da liegen wir zu 90 Prozent richtig.
Haben Sie ein Beispiel?
Unsere bekannteste Vorhersage ist, dass Harry Kane in seinem ersten Jahr bei den Bayern keinen positiven Einfluss auf die Tordifferenz haben wird. Gleichzeitig haben wir vorausgesagt, dass Tottenham nach Kanes Abgang in den drei Bereichen Punkte, geschossene Tore und Tordifferenz besser wird. Beides ist eingetroffen.
Eine unpopuläre Prognose.
Davon haben wir einige. Wir sagen auch, dass Stefan Ortega der beste deutsche Torhüter ist. Und dass Kevin Stöger unter den 100 besten Spielern der Welt ist.
Wie funktioniert der Algorithmus?
Jeder Spieler hat eine unzählige Menge an Daten, die über ihn erfasst wird. Das fließt in einen Wert ein, der ihn messbar macht. Wir können dann genau sagen, welcher Spieler in welcher Liga, auf welcher Position im Verhältnis zu anderen Spielern funktioniert.
Und davon profitieren die Vereine.
Genau. Wir sagen den Klubs, wie gut ihr Kader sein muss. Oder wen sie verpflichten sollten, um die sportlichen Ziele zu erreichen.
Warum geht es im modernen Fußball nicht mehr ohne Datenanalyse und KI?
Es geht. Aber wenn einer anfängt, müssen alle anderen mitmachen. Daten gibt es im Fußball schon seit vielen Jahren. Die Schwierigkeit ist nur, sie zu interpretieren. Ohne KI ist das heute unmöglich.
Wo liegen die Grenzen der Technologie?
Die Spieler sind für uns fast 24 Stunden physisch verfügbar, psychologisch aber nicht. Wir wissen nicht, was bei ihnen zu Hause los ist oder was sie in ihrer Kindheit erlebt haben. Daher kann eine KI in nächster Zeit keine Mannschaft psychologisch auf ein Spiel einstellen. Das wird ein Mysterium sein, bis die Datenlage in fünf bis zehn Jahren besser ist.
Und dann könnte die KI Trainer ersetzen?
Das ist fast schon eine philosophische Frage. Ich glaube, Menschen wollen mit Menschen zu tun haben. Aber die Arbeit eines Trainers wird sich stark verändern.
Haben Sie jemals überlegt, Ihr Produkt für Sportwetten zu verwenden?
Wenn man mit uns wetten würde, könnte man garantiert einen kleinen Prozentsatz pro Wette gewinnen. Das haben wir in Simulationen nachgewiesen. Allerdings haben wir uns dagegen entschieden, irgendwas mit dem Thema zu tun zu haben. Wir können nicht auf der Klubseite beraten und gleichzeitig gegen den Klub wetten. Das lässt sich unmöglich mit unserem Kerngeschäft vereinbaren.
Sind Sie selbst Fußballfan?
Ja, ich bin großer Fußballfan.
Ist es für Sie dann nicht unromantisch, das Spiel so zu berechnen?
Ja und nein. Romantik entsteht oft durch Spannung, die sich durch KI lediglich verschiebt. Es ist dann spannend zu schauen, ob die Prognose korrekt ist oder nicht. Fußball bleibt immer noch ein unvorhersehbares Spiel.
Wir sind in Sachen KI gerade erst am Anfang. Was ist zukünftig von der Technologie im Fußball noch zu erwarten?
KI wird gerade im taktischen Bereich massive Veränderungen auslösen. Außerdem wird es einen stärkeren Bezug zwischen der Qualität eines Spielers und seines Marktwertes geben. Es ist dann egal, ob er von Chelsea oder Ingolstadt kommt. Aktuell sind laut Datenlage die besten Spieler nicht immer die teuersten. Wenn sich das ändert, wird man mehr Geld in junge Spieler mit guter Prognose investieren. Deren Ablösesummen könnten dann nach oben schießen. Und ältere Spieler werden wertvoller und wichtiger für die Mannschaften.
Wie soll die Umsetzung funktionieren? Aktuell schaffen wir es nicht mal mit dem VAR.
Die passiert bereits. Das sieht man jetzt schon an den Tabellen. Wir veröffentlichen keine Kunden, aber in der zweiten Bundesliga merkt man, dass Schalke, Hertha und der HSV nicht mit uns arbeiten. Man kann mal gucken, wer unter den ersten fünf steht. Das ist schon auffällig.
Was würden Sie Menschen sagen, die den Einsatz von KI im Fußball skeptisch sehen?
Ich kann das verstehen. Der deutsche Fußball muss sich aber entscheiden. Wenn man im Weltfußball mithalten will, muss man alles heranziehen, was einem hilft, um besser zu werden. Und da wird es ohne KI nicht gehen. Ich komme ursprünglich aus dem Motorsport. Da haben wir wirklich alles ausprobiert, was uns eventuell Vorteile bringen könnte. Diesen unbedingten Willen zur Verbesserung vermisse ich manchmal im Fußball. Jetzt sind in dem Sport die Diamanten noch überall zu finden, wenn man in Ruhe unser System einführt. Muss man sich später unter Druck entscheiden, wird es deutlich schwieriger – und man verliert eventuell den Anschluss.
Den Fußballromantikern wird das nicht gefallen.
Bei der Fußballromantik schwingt in der jetzigen Form aber auch immer ein bisschen Ungerechtigkeit mit. Wir zeigen Vereinen und Spielern durch KI ungeahnte Chancen auf. Ich finde, wir machen den Fußball gerechter, demokratischer und transparenter.