Wenn die beiden ältesten Online-Fanmagazine der Borussia die Probleme im Verein derart deutlich benennen wie in dieser Woche, dann sollte endlich auch im Verein selbst der Ernst der Lage erkannt worden sein. Konkrete Auswirkungen auf das erste Spiel nach diesem Analysebeben wird dies aber noch nicht haben. Denn durch das desolate 1:2 in Augsburg war der Druck auf Gerardo Seoane und seine fehlgestartete Mannschaft bereits ohnehin groß genug vor dem Heimspiel gegen den notorischen Underdog von der Schwäbischen Alb.
Der eine oder andere Vereinsmitarbeiter wird beim Lesen der hervorragenden Analysen von Torfabrik und Seitenwahl zustimmend genickt haben. Wichtiger wäre aber, wenn endlich auch die tatsächlichen Entscheidungsträger im Verein aufwachen und ihr Handeln hinterfragen. Von daher, extra für Sie, Herr Bonhof, Stegemann und Hollmann hier noch einmal eine Zusammenfassung der wesentlichen Kritikpunkte, bei denen Sie zum Wohle des Vereins ansetzen sollten:
So weit, so offensichtlich. Doch welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen, um die Negativspirale aufzuhalten und umzukehren? Es ist gruppendynamisch unheimlich schwierig, in bestehenden, verfilzten Vereinsstrukturen gravierende Veränderungen zu erreichen. Man frage nach beim Kölschen Klüngel oder bei den bayerischen Amigos. Jegliche Veränderung gefährdet die Komfortzone einer Vielzahl von Mitarbeitern, die um eine Bewahrung des Status Quo kämpfen werden. Der eigene Arbeitsplatz ist einem im Zweifel näher als das (vermeintliche) Wohl des Vereins.
Es ist daher leider menschlich, sich die Lage so lange wie möglich irgendwie schön zu reden und erst dann auf Katastrophen adäquat zu reagieren, wenn diese bereits unausweichlich sind. In der Vergangenheit hat Borussia solche prekären Situationen erst nach einem Abstieg aus der 1. Bundesliga erfolgreich bewältigen können. 1999 war die Situation aufgrund der finanziellen Schieflage noch deutlich dramatischer. Gelöst wurde sie durch das Auftreten starker Persönlichkeiten wie Adalbert Jordan, Rolf Königs und Stephan Schippers, die eine neue Vereinskultur schufen und zudem mit Hans Meyer einen Glücksgriff auf der Trainerposition tätigten.
Nach dem Abstieg 2007 war es im darauffolgenden Jahr Max Eberl, der eine neue Ära prägte und ebenfalls 2011 in Lucien Favre den perfekten Trainer fand.
Die Beispiele zeigen: Funktionieren kann der Turnaround nur, wenn der Verein starke Persönlichkeiten findet, die in der Lage sind, gegen die Widerstände im Verein diesen zukunftsgerichtet neu auszurichten. Ein Personalwechsel mag hier stets die einfachste Lösung sein und es ist kein Selbstläufer, dass mit neuem Personal automatisch alles besser wird. In beiden Fällen der Vergangenheit bedurfte es aber insbesondere eines herausragenden Trainers, der die sportliche Wende bewerkstelligte. Keine guten Nachrichten für Gerardo Seoane, dessen Arbeit mit einem Punkteschnitt von 1,0 aus seinen ersten 40 Partien nicht gerade als herausragend zu bezeichnen ist.
Bei Durchsicht der oben aufgeführten Mängelliste wird offenbar, dass insbesondere Trainer und Geschäftsführer Sport ein wesentlicher Teil des Problems sind und ein Austausch bereits in der vergangenen Sommerpause hätte erfolgen müssen. Roland Virkus und Gerardo Seoane müssen leider in ihrem Wirken als gescheitert gelten und es ist kaum vorstellbar, dass sich daran in den kommenden Wochen und Monaten noch Entscheidendes ändern wird.
So wie es aussieht, wird der Verein dennoch die folgenden Partien gegen Heidenheim, Mainz und Frankfurt – und ggf. auch noch jene gegen Bremen und Leipzig – abwarten. Vielleicht retten sich die sportlich Verantwortlichen so in die Winterpause. Aber es spricht wenig dafür, dass sie die strukturellen Defizite ihrer Arbeit überwinden und der Mannschaft eine echte Perspektive werden verpassen können.
Daran würde auch ein einziger (überzeugender) Heimsieg gegen den 1. FC Heidenheim am kommenden Samstag wenig ändern. Gegen den Vorjahres-Aufsteiger absolvierte Borussia beim 3:1-Pokalsieg vor ziemlich genau einem Jahr eines der besten Spiele unter Seoane. Damit sich dies wiederholt, wäre eine deutliche Steigerung gegenüber den letzten Partien erforderlich. Dazu beitragen könnte die Rückkehr von Franck Honorat, dessen Flanken und Vorlagen unverzichtbar sind, um Neu-Nationalspieler Kleindienst wirksam einsetzen zu können. Auf der rechten Abwehrseite könnte Stefan Lainer seinen ersten Startelfeinsatz dieser Saison feiern, da Joe Scally erst Freitag von seiner Länderspielreise mit den USA zurückkehrt. Ansonsten ist mit wenigen Veränderungen in der Formation zu rechnen.
Dies gilt gleichermaßen bei den Gästen, die mit 9 Punkten deutlich besser als Borussia in die Saison gestartet sind. Eine wesentliche Veränderung könnte dennoch erforderlich werden, da Paul Wanner angeschlagen von der U21 zurückgekehrt ist. Die Heidenheimer sind – ebenso wie die beiden nächsten Ligagegner aus Mainz und Bremen – eine Mannschaft, mit der sich Borussia sportlich auf Augenhöhe befindet. Ein Heimsieg ist daher Pflicht. Für einen nachhaltigen Wandel im Verein wird aber deutlich mehr nötig sein als ein bis zwei überzeugende Auftritte.
SEITENWAHL-TIPPS
Michael Heinen: Nach der turbulenten Länderspielpause hellt sich die Stimmung in der kommenden Woche wieder etwas auf: Borussia besiegt Heidenheim mit 2:1.
Kevin Schulte: Borussia bleibt gegen Heidenheim ungeschlagen, gewinnt aber nicht. Spätestens nach dem enttäuschenden 1:1 gegen den FCH sollten die Alarmglocken schrillen.
Mike Lukanz: Wir steuern auf den berühmten Borussen-Herbst zu, denn Heidenheim erweist sich als nicht zu knackende Nuss. Nach dem 0:0 werden wahrscheinlich einige zurzeit arbeitslose Trainer öfter aufs Telefon gucken.
Christian Spoo: Borussia würgt sich zu einem glücklichen 2:1-Sieg. Ob damit eine Art Wende eingeleitet oder nur das vermeintlich Unausweichliche hinausgeschoben ist, wird die Zeit weisen.
Michael Oehm: Das 1:1 lässt Fans und Verein ratlos zurück.