Wenn das eine "False Flag"-Inszenierung gewesen sein soll, war es möglicherweise eine der amateurhaftesten aller Zeiten. Nur drei Tage nach dem Vorfall am 30. Oktober tauchte eine Aufnahme einer Überwachungskamera auf, die ein ganz anderes Bild von dem Zwischenfall zeichnet als anfangs von mehreren Medien kolportiert wurde. In den sozialen Medien kursieren inzwischen zahlreiche Gerüchte hinsichtlich dieser Tat.
Die irakische Zentralregierung in Bagdad hält sich ungeachtet des öffentlichen Aufsehens bislang in der Angelegenheit bedeckt. Eine amtliche Mitteilung über den Wahrheitsgehalt des mutmaßlich gestellten Anschlagsvideos gibt es nicht.
Das Videomaterial zeigt, wie sich ein Mann einem Auto nähert und darin etwas einrichtet. Anschließend verschwindet die Person. Momente später explodiert das Auto. Das Fahrzeug steht in einer menschenleeren Straße.
Wie aus dem Nichts tauchen sodann etwa zehn Männer auf und werfen sich in theatralischer Weise auf den Boden. Sie nehmen Posen an, die den Eindruck erwecken, als seien diese Menschen durch die Autobombe entweder getötet oder schwer verletzt worden.
Hinzu kommt, dass binnen kürzester Zeit erste Helfer auftauchen, um die vermeintlichen "Toten und Verwundeten" auf behelfsmäßigen Tragen wegzubringen.
Aufnahmen aus der Zeit nach dem Vorfall zeigen, dass auf dem Boden auch eine Flüssigkeit versprüht wurde, die wie Blut wirkt. Es ist unklar, woher das Blut kam oder ob es überhaupt tatsächlich Blut ist. Im Video gibt es Andeutungen, die den Gedanken nahelegen, das vermeintliche oder tatsächliche Blut könnte im Nachhinein am "Tatort" hinterlassen worden sein.
Die erste Erwähnung eines Autobombenanschlags in Bagdad am 30. Oktober kam über Twitter um 16.11 Uhr. Um 18.08 Uhr schrieb die internationale Nachrichtenagentur Reuters in einem Bericht über den Angriff. Daraufhin verbreitete sich die Nachricht über den mutmaßliche Anschlag über die Mainstreammedien.
Stunden später veröffentlichten lokale irakische Medien weitere Videoaufnahmen, die dokumentierten, wie sich Dutzende Menschen um den angeblichen Anschlagsort scharten.
Die Facebook-Seite des Stadtviertels el-Hurriyah titelte später jedoch über einem Video, dass es bei dem Anschlag nur zu "leichten Verletzungen" gekommen sei.
Der Zwischenfall wirft zahlreiche Fragen auf. Sollte das Videomaterial authentisch sein, dann dürfte es sich dabei um ein Beispiel für eine misslungene "False Flag"-Operation handeln. Das Ziel der Operation könnte eine weitere Zersetzung des irakischen Sozialgefüges gewesen sein. El-Hurriyah ist ein mehrheitlich schiitisch geprägtes Viertel. Mit einer solchen Kampagne könnten es Hardliner darauf abgesehen haben, die schiitische Mehrheitsbevölkerung gegen die sunnitisch-arabische Minderheit aufzubringen, aus der sich die Terrormiliz "Islamischer Staat" rekrutiert.
Unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung kann eine Politik der Verfolgung und Entrechtung bestimmter Bevölkerungsgruppen mehrheitsfähig gemacht werden. Heimtückische Bombenanschläge haben das Potenzial, Spaltungen in der Gesellschaft zu vertiefen. Sie provozieren regelmäßig Vergeltungsaktionen.
Der irakische Fernsehsender Al-Radidain berichtete, dass die Explosion von irakischen Behörden orchestriert worden wäre. Die Aktion diene demnach einer Marginalisierungspolitik gegenüber der sunnitischen Gemeinschaft. Dieser wird nicht selten unterstellt, mit dem IS zu kooperieren und die schiitische Zentralregierung in Bagdad abzulehnen.
Es existiert aber auch noch eine zweite Theorie. Diese besagt, dass es sich bei dem vorliegenden Material um einen Ausschnitt handele, der von einem Filmset stamme. Der Künstler Ahmed Abu el-Hassan schrieb in einem Facebook-Post, dass das Video missverstanden wurde. Am 3. November löschte el-Hassan diese Aussage jedoch wieder. Bezüglich der Theorie hinsichtlich einer "Film"-Story gibt es jedoch einige Zweifel, da es keine sichtbare Barriere zwischen Film-Set und Kamera-Bereich gibt. El-Hassan geriet prompt in Verdacht, als Trittbrettfahrer seine Popularität steigern zu wollen.
Eine ganz neue Wendung erhielt der Fall wiederum, als sich die Terrormiliz "Islamischer Staat" in einer Erklärung im Chat-Dienst Telegram am 30. Oktober zu dem Autoanschlag bekannte, der offenbar keine Menschenleben forderte.