Von Julia Lauer
Heidelberg. In der Corona-Pandemie richten sich momentan alle Hoffnungen darauf, dass bald ein Impfstoff zugelassen wird. Aber was fehlt, sind auch wirksame Medikamente zur Behandlung einer Covid-19-Erkrankung. Heidelberger Forscher haben nun genauere Erkenntnisse darüber gewonnen, wie sich das Virus in den Zellen vermehrt. Sie hoffen, dass ihre Einblicke, die sie in der Fachzeitschrift "Cell Host & Microbe" veröffentlicht haben, auch die Entwicklung eines Arzneimittels voranbringen.
Was wollten die Forscher wissen? Das Coronavirus bringt Zellen zum Absterben, etwa in der Lunge. Aber wie genau läuft das Zellsterben ab? Dies herauszufinden, war das Ansinnen von Ralf Bartenschlager, Professor für Virologie an der Universität Heidelberg, und Yannick Schwab, der am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) die Abteilung für Elektronenmikroskopie leitet. Sie machten sich mit ihren Teams noch während des ersten Lockdowns an die Arbeit. "Die Labore mussten damals schließen. Das Einzige, was man noch erforschen durfte, war das Sars-Virus", erinnert sich Schwab an die besonderen Umstände, unter denen das Projekt begann.
Wie gingen sie vor? Im Hochsicherheitslabor infizierten die Heidelberger Forscher Lungenzellen in einer Petrischale mit dem Erreger Sars-CoV-2. "Die Zellen, die wir nutzten, waren einfach zu kultivieren und waren sehr ähnlich zu authentischen Lungenzellen", erläutert Bartenschlager. Für die Infektion nutzten sie einen isolierten Erreger, den sie im März von dem in Berlin tätigen Virologen Christian Drosten erhalten hatten. "Es war eines der ersten Isolate aus Deutschland, er hatte es kurz nach dem ersten Ausbruch aus einem Patienten isoliert." Die Heidelberger Wissenschaftler untersuchten die infizierten Lungenzellen anschließend unter sehr leistungsstarken Mikroskopen.
Was fanden sie heraus? Dass Corona-Viren Zellen schädigen und abtöten, wusste man schon vorher. "Aber warum, das war unklar", erklärt der Virologe. "Mit unserem Ansatz haben wir sehr genau die durch die Infektion verursachten Zellveränderungen beschreiben und bildlich darstellen können." Unter dem Mikroskop wurde deutlich, dass die Zellen durch den Erreger umprogrammiert werden. "Die Zelle kann man sich als Hardware vorstellen, den Sars-Erreger als Software", veranschaulicht er. "Und wenn das Virus installiert wird, geht die Festplatte kaputt."
Was genau passiert in den Zellen? Das Virus vermehrt sein Erbgut in Membranbläschen im Zellinneren. "Die Bläschen sind regelrechte Vermehrungsfabriken für das Virus. Für die Zelle wird es schwer, sich zu wehren, weil das Erbgut in den Bläschen sehr gut abgeschirmt ist", fasst Virologe Bartenschlager zusammen. "Schon sechs Stunden nach der Infektion konnten wir unter dem Mikroskop die ersten Vermehrungsfabriken erkennen", ergänzt sein Kollege Schwab. Und deren Zahl nimmt zu, je länger die Infektion andauert. Die Folge: Wichtige Bestandteile der Zelle, die sogenannten Organellen, gehen zugrunde, und spätestens nach 48 Stunden waren die Zellen abgestorben. "Dass das Coronavirus die Zellen schädigt, kann ebenso wie die gesteigerte Blutgerinnung und eine geschwächte Immunabwehr erklären, dass Menschen an der Infektion sehr schwer erkranken", erklärt der Virologe.
Was nützt die Erkenntnis? Jedes Virus nutzt Körperzellen anders. "Wir wissen jetzt genauer, wie sich das Coronavirus im Körper vermehrt – erstaunlicherweise sind die Vermehrungsfabriken denen des Hepatitis-C-Virus ähnlich", so Bartenschlager. Beim Hepatitis-C-Virus sei das Geschehen in den Zellen gut erforscht, und Medikamente könnten zuverlässig die Vermehrung im Körper hemmen. Daher hoffen die Forscher, dass sich die neuen Erkenntnisse bei Sars-CoV-2 zur Entwicklung eines passgenauen Medikaments nutzen lassen – was jedoch Jahre dauern kann. "Die bekannten und bisher untersuchten Wirkstoffe haben bei der Covid-19-Erkrankung mit Ausnahme von Dexamethason leider keinen klinischen Vorteil gezeigt", erläutert Bartenschlager den Bedarf.