Wer gesellschaftliche Ungerechtigkeit beseitigen will, muss Haltung zeigen. Das gilt auch für Gewalt gegen Frauen. Und das gilt vor allem für die, von denen sie ausgeht: Männer.
Die Scham muss die Seiten wechseln, hat die Französin Gisèle Pelicot gesagt, als sie entschied, den Prozess gegen ihre mehr als fünfzig mutmaßlichen Vergewaltiger öffentlich zu machen. Sie hat recht. Und es gilt für alle Bereiche.
Heute, am 25. November, ist der "Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen". Die meisten Männer, davon kann man hoffentlich ausgehen, finden Gewalt gegen Frauen schlimm. Doch ansonsten tun sie leider oft so, als ginge sie die Sache nichts an. "Sorry" reicht aber nicht. "Sorry" verändert nichts. Wenn Männer täglich prügeln, vergewaltigen, unterdrücken oder belästigen, kann man schwerlich von einem "Frauenproblem" sprechen. Es ist ein Männerproblem. Und nur Männer können mithelfen, es zu lösen.
Also Männer, raus zur Demo! Heute ist der internationale Tag zur Beseitigung eures Terrors gegen das weibliche Geschlecht. In Deutschland versucht jeden Tag jemand von euch, seine (Ex-)Partnerin zu töten. Fast jeden zweiten Tag schafft es einer. Damit gehört ihr im europäischen Vergleich zur Champions League. Noch eine Zahl: Vergangenes Jahr gab es 180.715 weibliche Opfer häuslicher Gewalt. Hinter jedem dieser Opfer stehen Täter. Männer. Und übrigens: Fast alle Frauenschläger und Vergewaltiger in Deutschland haben einen deutschen Pass, dafür sind nicht, wie es Rechtspopulisten gerne sagen, allein Migranten verantwortlich. stellt das BKA in seinem jüngst veröffentlichten Lagebericht zum Thema klar.
Die Zahlen sind erschreckend, Deutschlands Männerproblem ist gigantisch. Doch anders als in Italien, Spanien oder Frankreich gibt es darüber hierzulande keine Debatte. Alle Jahre wieder sorgt die Veröffentlichung der Statistik kurzzeitig für Bestürzung. Dann passiert: nichts. Die Politik hat es augenscheinlich auch nicht eilig, die Lage für Frauen zu verbessern. Man mokiert sich über Donald Trump und die amerikanischen Abtreibungsgegner, während bei uns Paragraf 218 noch immer unangetastet im Strafgesetzbuch thront. Auch das geplante neue "Gewalthilfegesetz", mit dem die Bundesrepublik wenigstens ihren Verpflichtungen gemäß der Istanbul-Konvention gegen häusliche Gewalt nachkäme, wird mit dem Ampel-Aus nun womöglich erneut verschoben. Frauen sind offenbar nicht so wichtig, ihre Sicherheit ist zu teuer. Überhaupt würde das geplante Gesetz wohl erst 2030 in Kraft treten. Und bis dahin? Och, egal.
Die Scham muss die Seiten wechseln – natürlich bedeutet das nicht, dass Männer sich für ihr Geschlecht schämen sollen. Männerfeindlichkeit ist keine Lösung für Frauenhass und niemand braucht einen Krieg zwischen den Geschlechtern. Was wir brauchen, ist Solidarität. Jeder Mann kann sich von seinen frauenfeindlichen Geschlechtsgenossen abgrenzen und sagen: "Stopp, so nicht." Jeder kann entscheiden, auf welcher Seite er steht.
Denn damit fängt es an. Die getöteten und vergewaltigten Frauen, die über 180.000 weiblichen Opfer häuslicher Gewalt, sind die brutalen Auswüchse eines Systems, in dem es als "normal" gilt, dass Frauen abgewertet oder benachteiligt werden. Sicher, es ist nicht das gleiche, ob eine Frau vergewaltigt wird oder bloß belästigt. Aber Jahr für Jahr weisen Experten darauf hin: Tiefsitzender Hass und alltägliche Verachtung gegenüber Frauen gehören zu den Wurzeln der Gewalt. Jeder kann entscheiden, ob er ein Komplize dieses Systems sein will.
In Frankreich gibt es ein einfaches Wort für den Wunsch, gesellschaftliche Ungerechtigkeit abschaffen zu wollen: Revolution. Und solange der König nicht gestürzt ist, dürfen nun mal keine Ausreden gelten. Da müssen alle an einem Strang ziehen. Haltung zeigen. Zivilcourage. Das ist bei Frauenhass nicht anders.
Wenn man die Dinge verändern will, kauft man sich also kein Rammstein-Ticket. Man grölt keine sexistischen Texte. Man geht auch nicht mit dem Kumpel ein Bier trinken, der regelmäßig vor Eifersucht seiner Freundin gegenüber aggressiv wird. Auch nicht, wenn er der Chef vom Schützenverein ist und ein alter Freund. Man stellt ihn zur Rede, man informiert die Polizei und man erzählt es allen anderen. Man schweigt nicht bei frauenfeindlichen Witzen. Man bezahlt Frauen nicht schlechter, weil die Ungerechtigkeit im Betrieb nun mal so "gewachsen" ist. Man hört einfach auf damit, es ist gar nicht so schwer.
Gewalt gegen Frauen hat nichts mit Männlichkeit oder Testosteron zu tun – sondern mit Macht und Unterdrückung. Der Vergewaltigungsprozess um Gisèle Pelicots Ehemann und seine fünfzig potenziellen Mittäter ist so erschütternd, weil er das gesamte Spektrum zeigt. Da ist der Hauptangeklagte, Dominique Pelicot. Er sagt, er sei besessen davon gewesen, seine stets so selbstbewusste Partnerin gefügig zu machen. Dann gibt es jene, die es erregend fanden, den Körper einer wehrlosen Frau zu penetrieren. Und dann sind da noch die anderen. Sie meldeten sich nach dem ersten Kontakt nie wieder bei Dominique Pelicot, weil er ihnen brutal und unheimlich vorgekommen war. Aber sie haben geschwiegen. Sie wollten sich nicht einmischen in das, was ein Ehemann mit seiner Frau macht. Es war ihnen nicht so wichtig.
Der Fall zeigt aber auch, wie Männer und Frauen gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt vorgehen können. Dominique Pelicot wurde 2020 verhaftet. Beinahe zufällig. Wegen eines Mannes. Der Mitarbeiter eines Supermarktes hatte ihn dabei erwischt, wie er Kundinnen mit seinem Handy unter den Rock filmte. Dem Mitarbeiter war es nicht egal. Er sah darin auch nicht das kauzige Verhalten eines gealterten Lüstlings. Sondern eine ekelhafte Straftat. Und er bestand darauf, dass die Frauen Anzeige erstatteten.
Jeder ist verantwortlich dafür, wie die Gesellschaft aussieht, in der wir leben. Jeder kann aufhören, Sexismus und Frauenhass zu tolerieren. Jeder kann männliche Gewalt bekämpfen, auch wenn er selbst im strafrechtlichen Sinne nie übergriffig geworden ist. Schämen müssen sich bloß die, die das nicht tun.